600km Brevet ara S-H / 5.5.2017

2 verwegene Randonneure

Wir sind dann mal eben weg !

600er Brevet mit skurilen Einlagen durch Jütland beendet Super-Randonneur-Serie

Ein Reisebericht von Jörg

Der Freitagabend bricht an. Stephan und ich wollen gleich mit unseren Rädern im Auto nach Kiel fahren. Unsere sieben Sachen für unser Vorhaben sind gepackt, das Stahl- und das Karbonross sind gesattelt, wir beenden unsere Reis-Hähnchen-Kalorienaufnahme, sagen Tschüß.

Um 21.00 Uhr starten von 20 gemeldeten Randonneuren 14 in Richtung Padborg-DK. Die meisten kennen sich, ich will einem mir noch unbekannten Mitfahrer die Hand geben. Dieser deutet an, daß er eine Erkältung habe und mich wohl nicht anstecken will – für mich skuril. Ich denke: „Wie will der bloß 616 km schaffen ???“

Die Gruppe sprüht offensichtlich voller Energie, es ist wohl die Freude, daß das Abenteuer endlich losgeht. Ohne Bedenken der riesigen Distanz fahren wir mit hohem Tempo quer durch Kiel als ob wir die Tour de France auf der Champs Elysee siegreich beenden wollten.

Mein Mitfahrer Stephan und ich lassen uns zunächst mitreißen. Nach einer ersten Rampe sprinte ich nach vorne und „ermahne“ Stephan, daß wir viel zu schnell sind, so können wir das nicht durchhalten. Stephan reagiert sofort und ab jetzt beginnt die Phase in den persönlichen „Flow“ zu kommen. Hierbei können wir uns gut aufeinander abstimmen.

Dann der Auftakt zum nächsten skurilen Ereignis, irgendwo vor oder hinter Eckernförde: an einer Mauer lehnt ein Fahrrad mit eingeschalteter Beleuchtung, vom Fahrer nichts zu sehen. „Der hockt wohl irgendwo hinterm Busch“, denken wir laut.
In Padborg, der ersten Kontrollstation, begegnen wir Knut, mit etwas lädierter Warnweste und erfahren, daß er besagter Fahrer des Rades an der Mauer war. Er sei einem vorausfahrenden Randonneur als dieser bremste hinten aufgefahren. Dabei Speichenbrüche an seinem Rad. Er habe dann seine Frau angerufen, Entfernung vom Wohnort nur 10 km, die ihm kurzerhand sein Tourenrad zu Unfallort brachte, kurzer Tausch defekt gegen betriebbereit und dann weiter auf diesem drei- oder Fünfgängerad. Unglaublich !!    
Das Markenzeichen von Knud: fährt immer mit einem Rucksack aus dem der große T-förmige Griff einer Standpumpe deutlich herausragt !?!

Nach unserem Stop in Padborg fahren wir mit Kakao gestärkt und aufgefüllten Wasserflaschen durch stockdunkle Nacht Richtung Esbjerg. Irgendwo auf diesem Abschnitt sehen wir zwei Rücklichter weit voraus und kommen allmählich diesen näher. Während das eine Rücklicht verschwindet, bleibt das andere konstant. Wir erreichen den Fahrer: es ist Kai.
Auf der Straße und im Grünen liegen einige Teile verstreut. Was ist hier passiert ? Kai sagt, daß ihm ein kleines Wildschwein quer gegen das Rad gelaufen sei. Ihm ist nichts passiert, wir helfen ihm, sich, sein Rad ( Hinterbremse ausgehakt) und seine Sachen in Ordnung zu bringen. Dann geht`s weiter zu dritt, doch Kai klingt sich dann später aus. Erster Kampf mit der Müdigkeit kurz vor Esbjerg. Wir treffen Kai noch einmal in Esbjerg an unserer zweiten Kontrollstation.

Kurzes Auffrischen in Esbjerg am frühen Morgen. Dort in der Q8-Tanke keine Sitzmöglichkeit, Knut kommt rein, er findet den Kaffee dort unerträglich, ich mag meine durchgefeuchteten Klamotten nicht mehr, keine Lust wieder raus in die Morgenkühle zu müssen.

„So viel wie nötig – so wenig wie möglich “ so die Devise beim Brevetfahren

Doch dann auf in Richung Silkeborg. Es wird hügeliger und die Sonne kommt endlich hervor, der Himmel wird blau, es wird schnell warm. So kommt es, daß ich meine Shelfjacke und die Winterhose ausziehe und damit bringe ich meine Gepäcktasche zum Überquellen und werde selbst zum skuril erscheinenden Radler mit langen Wintersocken, kurzer Hose, Langarmtrikot und Winterhandschuhen – nun ja so war ich zuvor noch nicht Rad gefahren.

In Horsens

Der Weg nach Silkeborg erschien uns sehr lang zu sein. Unterwegs habe ich ein plattes Hinterrad – kurze Zwangspause. Wir kamen am frühen Nachmittag dort an, die Stempelaktion wie gewohnt an einer Tankstelle mit dem üblichen Procedere: Wasserflaschen füllen, essen, den nächsten Track auf dem Garmin starten, etwas ausruhen.

Von Silkeborg weiter nach Horsens und dann nach Vejle. In Vejle endlich eine richtige warme Mahlzeit: wir kehren in einer Pizzeria ein und schaufeln ordentlich Kohlenhydrate in uns rein. Die zweite Nacht naht.

Wir bewegen uns in Richtung Abenraa. Wieder Müdigkeitwellen. Es wird schlimmer ca. 20 km vor Abenraa. Ich denke: „Was mache ich bloß, ich muß unbedingt schlafen, aber wo ? Hier gibt es keine Randonneur-Hotels (Foyers von Banken) !“ Wir passieren in Abenraa die große Polizeistation. Ob wir da vielleicht mal einen 30minütigen Kurzschlaf einlegen dürften ? Schnell verwerfen wir den Gedanken.

Bei der Durchfahrt durch Abenraa sehe ich ca. 100m rechts von der Hauptstraße eine Art Pizzeria-Döner-Imbiß. Ein paar Jugendliche warten dort auf ihr Essen, sonst zu dieser Zeit, etwa 0.00 Uhr, ziemlich leer. Der junge sehr freundliche Koch stempelt unsere Karten. Die Tankstelle als vorgesehene Kontrollstation ist längst geschlossen. Wir bestellen ein Essen und er gestattet, daß wir am Tisch schlafen dürfen. Die Erlösung – wir schlafen ca. 40 Minuten.

Es geht dann weiter Richtung Schleswig. Auf unserem Weg machen wir morgens um ca. 5.15 Uhr einen Stop an einer Bäckerei in Tarp, Wasserflaschen füllen, einen Milchkaffee und weiter nach Schleswig. Dort stoppen wir an der Team-Tankstelle. Noch ist kaum Kundschaft dort. Der sehr nette Tankwart ist uns in jeder Hinsicht behilflich und sehr zuvorkommend: bedient uns am Tisch, gestattet uns auf den herrlich weichen Kunstledersesseln zu schlafen – wunderbar !

Bei herrlichem Sonnenschein fahren wir die landschaftlich reizvolle Reststrecke (ca. 50km) bis nach Kiel.

 

Am Parkplatz angekommen, endlich Ablegen der feuchten durchschwitzten Klamotten und nochmal einen kurzen Schlaf im Auto…und dann nach Hause: geschafft, entspannt, froh, stolz. Eine weiteres Brevet (dt. Sinngemäß: Prüfung) bestanden.

Und im September dürfen wir dann unser Jahreshighlight Paris-Hamburg fahren !

Mit sportlichem Gruß

Jörg

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derdirk
7 Jahre zuvor

Das hört sich nach einer echten Randonneurstour an – mit allen Höhen und Tiefen. Jeder Brevet ist anders und das ist auch gut so.
Gratulation das ihr durchgehalten habt.